Medikamentöse Therapie bei COVID-19

Medikamentöse Therapie bei COVID-19: Was wissen wir zu den aktuell empfohlenen, aber noch nicht zugelassenen Arzneimitteln?

Ein spezifisch für die Behandlung von COVID-19 zugelassenes Medikament gibt es derzeit weltweit nicht, jedoch eine Vielzahl von Wirkstoffen, deren antivirale Aktivität gegen SARS-CoV-2 bekannt ist oder postuliert wird (1-6). „Repurposed Drugs“ lautet das Wort der Stunde in der englischsprachigen Fachliteratur. Darunter versteht man Arzneimittel, die bereits zugelassen sind und jetzt in einem neuen Anwendungsgebiet genutzt werden sollen (7). Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) nennt in seiner aktuellen Pressemitteilung „Therapeutische Medikamente gegen die Coronarvirusinfektion Covid-19“ u.a. 13 Medikamente, die teilweise für andere Indikationen bereits zugelassen wurden und jetzt in laufenden Projekten der pharmazeutischen Unternehmer hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 untersucht werden sollen (8). Auch die Zahl der inzwischen nicht mehr überschaubaren, mehr oder weniger seriösen Publikationen zu diesem Thema nimmt weiter rasant zu – ähnlich wie die Zahl der global mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen (9). CME Pukte   Bei den wissenschaftlichen Publikationen zu den verschiedenen geprüften Wirkstoffen handelt es sich häufig um tierexperimentelle Untersuchungen bzw. in vitro Prüfungen der antiviralen Aktivität in Zellkulturen, aber auch um Kasuistiken bzw. unkontrollierte Studien, deren Aussagekraft naturgemäß gering ist. Auf die wenigen randomisierten kontrollierten Studien, deren Ergebnisse bereits vorliegen bzw. die derzeit geplant sind, gehen wir weiter unten ein.   Wenig belastbare Evidenz gibt es derzeit nicht nur hinsichtlich der Effektivität von nicht pharmakologischen Interventionen (z.B. „Social Distancing“ bzw. „Suppression“; 10, 11), sondern vor allem hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit der aktuell vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) für die zentrale Beschaffung und Verteilung in deutschen Krankenhäusern empfohlenen Arzneimittel (12). Hierzu zählen Remdesivir, Chloroquin-haltige Arzneimittel, die Kombination von Lopinavir und Ritonavir (Kaletra®), sowie die in Japan zur Behandlung der Grippe (Favipiravir, Avigan®; 13) bzw. der chronischen Pankreatitis (Camostat, Foipan®) zugelassenen Arzneimittel. Camostat ist ein Hemmer der Serinproteasen, für den Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Primatenforschung kürzlich zeigen konnten, dass er ein für den Eintritt des SARS-CoV-2 in Lungenzellen erforderliches Enzym hemmt, die Protease TMPRSS2 („transmembrane protease serine 2“; 14). Keines der zuvor genannten Arzneimittel ist derzeit für die Behandlung von COVID-19 in Europa zugelassen. Ausdrücklich gewarnt werden muss deshalb vor unseriösen Berichten in der Presse, die einzelne Medikamente bereits als „Wundermittel“ gegen SARS-CoV-2 anpreisen. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass nach vollmundigen Ankündigungen des US-Präsidenten Donald Trump zur „möglicherweise bahnbrechenden“ Therapie mit Chloroquin zur Behandlung von COVID-19 viele Gesunde sich aus Angst vor der Ansteckung massenweise dieses Arzneimittel verschreiben lassen und es deshalb Patienten, die Chloroquin beispielweise zur Behandlung der Rheumatoiden Arthritis benötigen, nicht mehr zur Verfügung steht (15). Grundsätzlich sollten die zuvor genannten Medikamente nur in klinischen Studien eingesetzt werden oder ausnahmsweise im Rahmen von individuellen Heilversuchen bzw. Härtefallprogrammen, wobei dann ihre Wirksamkeit und Nebenwirkungen sorgfältig dokumentiert werden müssen.   Wir beschränken uns im Folgenden auf Chloroquinphosphat bzw. Hydroxychloroquinsulfat, Remdesivir und Lopinavir/Ritonavir, da zu diesen Wirkstoffen präklinische und klinische Untersuchungen vorliegen, die zumindest im Tierexperiment oder in vitro Aktivität gegen SARS-CoV-2 zeigten. Außerdem sind bereits erste Ergebnisse klinischer Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser Arzneimittel publiziert, ganz vereinzelt auch aus randomisierten kontrollierten Studien.   Verschiedene, für die Behandlung anderer Virusinfektionen (z.B. Influenza, Cytomegalie-Retinitis, Hepatitis) eingesetzte Arzneimittel (z.B. Oseltamivir, Valganciclovir und Ribavirin) sind bei COVID-19 unwirksam (3). Vor der Anwendung eines Proteaseinhibitors zur Behandlung von HIV (Darunavir) hat der pharmazeutische Unternehmer Janssen kürzlich sogar ausdrücklich gewarnt, da derzeit weder aus in vitro Untersuchungen noch aus klinischen Studien Hinweise für eine Wirksamkeit von Darunavir gegen SARS-CoV-2 vorliegen (16).  Cme ärzliche Fortbildung. Chloroquinphosphat (Resochin® ACA Müller) bzw. Hydroxychloroquinsulfat (Quensyl®, mehrere Generika): Diese Wirkstoffe sind in Deutschland zugelassen u.a. zur Prophylaxe und Therapie der Malaria sowie zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen (z.B. Lupus erythematodes und Rheumatoide Arthritis einschließlich juveniler chronischer Arthritis; 17, 18). Darüber hinaus wird Chloroquin schon einige Jahre in Kombination mit Doxycyclin gegen bakterielle Infektionen durch Coxiella burnetii und Tropheryma whipplei mit gutem Erfolg eingesetzt. Bei diesen Indikationen gibt es Langzeiterfahrungen, dass die Nebenwirkungen eher gering sind (19, 20).   Die antivirale Aktivität von Chloroquin in vitro ist seit mehr als 50 Jahren bekannt und eine Hemmung des Wachstums unterschiedlicher Viren konnte sowohl für Chloroquin als auch für Hydroxychloroquin nachgewiesen werden (21). Demgegenüber waren aber die Ergebnisse klinischer Studien bei viralen Infektionen (z.B. Influenza, HIV und Hepatitis) enttäuschend (22, 23). Interessant im Zusammenhang mit COVID-19 sind kürzlich publizierte Ergebnisse, die in vitro an Vero-E6-Zellen (etablierte Zelllinie aus normalen Nierenzellen von Grünen Meerkatzen; infizierbar mit einer Reihe von Viren) zeigen konnten, dass Chloroquin die Aktivität von SARS-CoV-2 hemmen kann, und zwar in Konzentrationen, die in vivo bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis nach Gabe von 500 mg Chloroquin erreicht werden können (24). Ebenfalls an SARS-CoV-2-infizierten Vero-Zellen wurde in vitro nachgewiesen, dass Hydroxychloroquin bezogen auf die anti-SARS-CoV-2-Aktivität – ermittelt anhand der Konzentration mit halbmaximaler Wirkung (EC50) – potenter war als Chloroquin. Basierend auf diesen Ergebnissen und pharmakokinetischen Modellen wird derzeit für Hydroxychloroquin eine Anfangs- bzw. Aufsättigungsdosis von 400 mg zweimal täglich und anschließend als Erhaltungsdosis 200 mg zweimal täglich für 4 Tage empfohlen (25).  Quelle: www.der-arzneimittelbrief.de

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